Wenn eine vielleicht einsame, nur für sich von Rot auf Grün wechselnde Ampel im Motiv zu sehen ist, gibt die Ampel die maximale Belichtungszeit mit der Dauer der Rot- oder der Grünphase vor. Leuchtreklamen und Straßenlaternen sind im Verhältnis zur Umgebung sehr hell. Straßen sind eher Orte, die sich in die Tiefe entwickeln, größere Brennweiten werden erforderlich sein. Wäre die Stadt komplett stillgelegt, so dass ausreichend Zeit zur Verfügung stünde, könnten Belichtungsreihen aufgenommen werden, in der die einzelne Aufnahme als maximale Belichtungszeit die gesamte Rotphase der Ampel benutzen könnte und von Aufnahme zu Aufnahme auf die nächste Rotphase gewartet würde. Es könnten umfangreiche Belichtungsreihen, z. B. 21 Aufnahmen, erstellt werden, um die starken Hell-Dunkel-Unterschiede auszugleichen, bei größeren Brennweiten könnte man z. B sieben unterschiedliche Scharfeinstellungen aufnehmen, so dass man insgesamt 147 Aufnahmen für ein Bild erstellen würde, aber auch bis zu 147 Rotphasen abwarten müsste.
Für ein einziges, ganz besonderes Bild könnte man so etwas wohl tun, aber die Stadt ist nicht stillgelegt.
Zu meiner Überraschung wimmelt es in Siegburg mehr als ich dachte. Die ursprüngliche Erwartung, am Wochenende, abends zwischen zehn und zwölf Uhr die Aufnahmen einzusammeln, ein Zeitraum, der sich mit den Zeiten meiner Erwerbsarbeit gut vereinbaren lässt, wurde schnell enttäuscht. Das Nachtleben in Siegburg ist überraschend rege. Der Versuch, die auf den Michaelsberg ausgerichteten Straßen zwischen ein und zwei Uhr morgens aufzunehmen, scheiterte, da die Beleuchtung des Klosters um Mitternacht ausgeschaltet und erst um fünf Uhr morgens wieder eingeschaltet wird. Die beste Zeit für diese Straßen ist sonntagmorgens zwischen fünf und sechs Uhr, da dann die wenigsten zur Arbeit fahren und in der Regel auch kein Lieferverkehr stattfindet. Für die Innenstadt ist diese Zeit wiederum ungeeignet, weil dann die letzten Clubs schließen und die ersten Busse und Bahnen fahren. Die Siegburger Innenstadt kann, zumindest im Winter, von Montag bis Donnerstag bereits zwischen zehn Uhr abends und ein Uhr morgens aufgezeichnet werden.
Es zeigte sich innerhalb der Übung ein Aspekt, an den ich nicht gedacht hatte. Es ist nicht ausreichend, dass sich nur die Straße, der Ort oder der Platz, die/der zum Motiv erkoren wird, leert. Es muss ein größerer Bereich zur Ruhe kommen - das Netz der mit dem Ort verbundenen Wege, über die die Wimmeligkeit wieder eindringen könnte. Die Leere will auch mit den Ohren erkundet werden - durch Warten, bis die Stille einkehrt. Aber selbst dann kann es noch wimmeln: Wind in den Bäumen ist nicht immer zu vermeiden.
Die Anzahl relevanter Umgebungsvariablen ist größer als es scheint und die gebotene Langsamkeit der Vorgehensweise erhöht die relative Wimmeligkeit.
Es ist nun aber nicht so, dass man alleine und unbeobachtet einer solchen Tätigkeit nachgeht. Das Habitat beobachtet zurück. Eine Stadt wie Siegburg, in der gerade einmal ca. 40.000 Menschen wohnen, ist als rheinländische Stadt recht heimelig. Mitten in der Nacht einen Menschen mit Stativ und professioneller Kameraausrüstung bei einer doch eher merkwürdigen Arbeit zu beobachten, ist eher selten und kann Anlass für kleine Sensationen und Unterhaltungen in den unterschiedlichsten spirituellen Zuständen bieten. Die Erklärung, den Michaelsberg zu fotografieren, wurde als zufriedenstellend empfunden, die Erläuterung, das Habitat Siegburg zu erfassen, nicht. Die Frage „Fotografierst du etwa mein Haus?“ oder die Aufforderung „Komm, mach mal ein Foto von uns!“ gehören ebenso zu meinen Erfahrungen wie Autofahrer, die umkehrten, um zu fragen, ob sie jetzt geblitzt worden wären.
Andere Beobachter*Innen waren erst beruhigt, wenn sie hörten, dass es sich wohl doch nur um ein „Hobby“ handelte. Wieder andere brüllten einen Fluch aus dem geöffneten Seitenfenster. Es gibt eine erfreuliche Sensibilität für das Recht am eigenen Bild. Es gab aber auch die ältere Dame, die frühmorgens um fünf Uhr mit ihrem Hund Gassi ging, mich bei der Suche nach einer Perspektive beobachtete und fragte, ob sie mir helfen könne, oder den aufmerksamen Nachbarn, der den Fremden in der Straße freundlich aber bestimmt fragte, was er hier zu suchen habe.
Andere Beobachter*Innen waren erst beruhigt, wenn sie hörten, dass es sich wohl doch nur um ein „Hobby“ handelte. Wieder andere brüllten einen Fluch aus dem geöffneten Seitenfenster. Es gibt eine erfreuliche Sensibilität für das Recht am eigenen Bild. Es gab aber auch die ältere Dame, die frühmorgens um fünf Uhr mit ihrem Hund Gassi ging, mich bei der Suche nach einer Perspektive beobachtete und fragte, ob sie mir helfen könne, oder den aufmerksamen Nachbarn, der den Fremden in der Straße freundlich aber bestimmt fragte, was er hier zu suchen habe.
Vor dem Hintergrund der gesammelten Erfahrungen kam ich zu dem Ergebnis, dass ich pro Motiv drei Belichtungsreihen mit sieben Aufnahmen und drei unterschiedlichen Schärfebereichen erstellen sollte, um so mit 21 Aufnahmen pro Motiv in angemessener Zeit ein akzeptables Bild zu erhalten. Rein technisch dauert so ein Vorgang drei bis neun Minuten - doch das Motiv hält nicht still.