Wenn ich im Folgenden von Köln spreche, meine ich die Kölner Innenstadt.
Dieses merkwürdige, gespickte Croissant ist eine Abbildung der Ordnung, nach der ich die Auswahl der Straßen und Plätze in der Kölner Innenstadt organisiert habe. Die halbkreisförmige Struktur der Stadt, legte den Gedanken nahe, die Stadt wie eine Zwiebel, Schicht um Schicht, zu entblättern und die Bilder danach anzuordnen.
Mein Interesse ist hierbei eher vom Alltäglichen als dem Spektakulären geleitet. Ich hatte nicht die Absicht, der Stadt zu schmeicheln, was bei einer Stadt, die im letzten Krieg zu achtzig Prozent zerstört und in den fünfziger Jahren wieder aufgebaut wurde, auch gar nicht so einfach wäre.
Für viele Menschen, die in Köln leben, ist die Stadt sehr attraktiv. Das hängt wohl weniger mit dem, was vordergründig in den Bildern zu Worte kommt, zusammen als mit dem Leben, das trotzdem dort gelebt werden kann.
Der Kampf um die Stadt ist in vollem Gange. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sind durch starkes Kapital in der Hand von Wenigen und menschlichen Ansprüchen von Vielen geprägt, die aus unterschiedlichen Perspektiven und Interessen versuchen, Stück um Stück Lebensraum zurückzuerobern. Gleichzeitig erfolgt eine sich selbstverstärkende Beschleunigung von im Wesentlichen nur noch wirtschaftlich motivierten Lebensprozessen in zunehmend globalen Zusammenhängen, die die Zeit für politische Auseinandersetzungen, den Austausch von Argumenten, das Finden von Kompromissen derart in Zeitwettbewerb zwingen, dass scheinbar alternativlose politische Entscheidungen zum Mittel der Wahl werden können. Der nach seiner eigenen Steigerungslogik wachsen müssende Markt vereinnahmt zusehends ehedem private Sphären, so dass nicht mehr nur mit Produkten gehandelt wird, sondern Erlebnisse und Wahrnehmungsweisen verkauft und definiert werden. Lebensraum wird zunehmend vermarktet und fremdbestimmt. Der Markt gewinnt dadurch - vielleicht nicht wirklich strategisch beabsichtigt, sondern eher als willkommener Nebeneffekt - eine dominantere Position in der Bestimmung dessen, was als legitimes Interesse am öffentlichen Raum zu gelten hätte. Bürger*innen werden nur noch als Konsument*innen, als Kund*innen, nicht als gleichberechtigter Marktteilnehmer*innen gedacht. Das Wahrnehmen, Sprechen und Denken selbst gerät unter Druck. Aufmerksamkeitsspannen verkleinern sich, alles muss kurz und einfach gesagt werden. Komplexe Zusammenhänge werden zunehmend undarstellbar. Worüber man nicht mehr sprechen kann, darüber wird geschwiegen.
Diese Stadtführung ist nicht wort-, sondern bildreich, sich lediglich mit Bildern zu konfrontieren ermöglicht eine eigene Entdeckungsreise.
Da Broterwerb die für das Projekt verfügbare Zeit limitierte, wollte diese Zeit effizient genutzt werden.
Belebtheit ist durch die zeitlichen Bewegungszyklen und die Anzahl der Besucher des Habitats strukturiert. Es ist wohl sehr lange zu warten, bis der Barbarossaplatz mittags als leerer Platz gesehen werden kann. Die Anzahl der Besucher und deren Wimmeligkeit ist um diese Zeit zu hoch. In anderen, vielleicht kleineren Städten, in denen Bürger*innen zum Beispiel eine ausgiebige Mittagspause pflegen, könnte es hingegen möglich sein. Die Anzahl der Besuche eines einzelnen Ortes, die erforderlich sind, um an diesem Ort das Habitat sichtbar zu machen, lässt sich reduzieren, indem die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der verfügbaren Zeit einen leeren Ort anzutreffen, erhöht wird. Die höchste Wahrscheinlichkeit existiert in Köln zwischen drei und fünf Uhr morgens. Für bestimmte Straßen und Plätze (Partymeilen) ist es allerdings notwendig, sie nicht an Samstagen oder Sonntagen zu besuchen, wenn die Wartezeit von Erfolg gekrönt werden soll.
Die einzelnen Aufnahmen mussten aus technischen Gründen immer gleich sein. Parkte vor der Erstellung der dritten Belichtungsreihe plötzlich ein Auto ein, konnte ich von vorne beginnen. Die Aufzeichnung eines Motivs mit seinen 21 Aufnahmen nahm zwischen 20 Minuten und zweieinhalb Stunden in Anspruch. Es ist immer wieder erstaunlich, wie belebt, selbst um diese Uhrzeit, die Kölner Innenstadt ist. Hin und wieder gab ich nach zwei Stunden Warten auch auf und versuchte es in einer anderen Nacht.
Für die ursprünglich geplanten 164 Bilder wären also ungefähr 40 bis 50 Nächte und ca. 4.000 Einzelaufnahmen erforderlich, mehr als ein Jahr wollte ich mir dafür nicht Zeit nehmen.
Die Bilder entstanden in der Zeit von Dezember 2017 bis Oktober 2018.
Zufahrtstraßen
Als ich anfing, darüber nachzudenken, wie ich die Straßen, die ich fotografieren wollte, auswählen könnte, wurde mir relativ schnell klar, dass die Zufahrtsstraßen zu diesem Zuhause eine wesentliche Rolle spielen.
Sie sind es, die die Besucher*innen begrüßen, sie sind die Wege, die zur Innenstadt führen, und sie erzeugen den nur schwer zu korrigierenden ersten Eindruck.
Insofern war es naheliegend, mit diesen Straßen zu beginnen. Ich war selber überrascht, dass es gar nicht so viele sind. Insofern musste ich hier keine Auswahl treffen.
Es existieren 18 Zufahrtsstraßen und, inklusive der Eisenbahnbrücke, drei Brücken in die Kölner Innenstadt. Man könnte sicherlich schön darüber streiten, ob nicht die Zoobrücke und die Südbrücke hinzugenommen werden sollten, kann man aber auch sein lassen.
Für den guten ersten Eindruck sind manche dieser Zugänge wahrscheinlich anderen vorzuziehen.
Wie schön, es gibt Entwicklungspotenzial.
Äußerer Wall
Was für Besucher*Innen von Köln die Orientierung manchmal schwierig macht, ist, dass ein Straßenzug alle naselang den Namen wechseln kann - die Rheinuferstraße, die Ringe, die Nord-Süd-Fahrt, aber auch die Wälle. Es gibt wohl einen Bedarf nach „mehr Namen“.
Um den ersten Eindruck zu erhellen, folge ich nicht  der steigenden städtischen Konzentration in den Trubel hinein, sondern bewege mich quer zu den Zufahrtsstraßen in einem äußeren Ring.
Die Innenstadt wird umgeben von einer Zone, die ich den äußeren Wall nenne. Der äußere Wall ist kein ganz durchgehender Straßenzug. Es gibt Unterbrechungen und Verschiebungen, aber er erscheint mir als zusammenhängender Weg, der die Stadt umschließt und eine ruhige, erste Ortsbegehung erlaubt, um den Rand von Köln zu erkunden.
Die einzelnen Benennungen orientieren sich tendenziell nach den Zufahrtsstraßen, die sie queren. Die Zufahrtsstraßen werden in der Benennung als Ausfahrtsstraßen gesehen und nach den Orten, die man in diesen Richtungen erreichen kann, benannt.
Es wird von Köln aus gedacht.
Neustadt
Schritt für Schritt ins Zentrum vordringend finde ich den nächsten Bereich wieder in einer Ringstruktur. Die Neustadt, die außerhalb der ursprünglichen Stadtmauer liegt, ist die letzte Wachstumsrinde der Innenstadt. Mehr Platz steht nicht zur Verfügung.
Die Straßen sind klar strukturiert und zeugen von einer seinerzeit bewussten Stadtplanung. Die Lebendigkeit nimmt langsam zu, ein klar auf Wohnen ausgerichteter Bereich. Die Straßen und Häuser sind von einer angenehmen Großzügigkeit gekennzeichnet. Es gibt sogar Platz für große Bäume in den Straßen. Kleine Plätze und erholsame Parks lockern die Bebauung auf. Im Übergang zum zwanzigsten Jahrhundert ist die Neustadt ein bevorzugter Wohnort des städtischen Großbürgertums.
Als ich Anfang der achtziger Jahre die Neustadt kennenlernte, hatten sich die Verhältnisse demokratisiert. Die Neustadt war damals, wegen der günstigen Mieten, ein bevorzugter Wohnort für Benachteiligte. Die letzten dreißig Jahre haben mit der zunehmenden Gentrifizierung wieder kleine, sympathische Geschäfte entstehen lassen, allerdings nur für ein zahlungskräftiges Publikum.
Man muss es sich nun wieder leisten können, dort zu leben.
Ringe
Den nächsten Orientierungsbereich liefern natürlich „die Kölner Ringe“, die an der Außenseite der ursprünglichen Stadtmauer die Neustadt mit der „Historischen Altstadt“ verbinden. Sie sind eine der viel befahrenen Hauptverkehrsachsen
Es wird von ‚die Ringe‘ gesprochen, obwohl es ein einziger Ring (sprich Halbkreis), eine durchgehende Straße ist. Bei der Benennung und Planung zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts gefiel man sich wohl darin, mit einer großzügigen und prunkvollen Planung als gute Untertanen den deutschen Herrscher- und Fürstenhäusern ein Denkmal zu setzen (Ubier-, Chlodwig-, Sachsen-, Salier-, Hohenstaufen-, Hohenzollern-und Kaiser-Wilhelm-Ring …).
Lediglich Ebertplatz und Theodor-Heuss-Ring erinnern heute auch an eine demokratische Vergangenheit.
Betrachtet man alte Stiche oder Fotografien der Ringe, erkennt man leicht, was es für eine lohnende Aufgabe sein könnte, den Autoverkehr aus der Stadt zu entfernen.
Dies wäre sicherlich auch eine gute Gelegenheit bezüglich der Namensgebung, die aktuelle Rolle des Untertans neu zu bedenken.
Innerer Wall
Den Rand der „Historischen Altstadt“ kann man dann aber wesentlich ruhiger auf einer durchgehenden Straße parallel zu den Ringen erkunden. Im Unterschied zum äußeren Wall nenne ich ihn den inneren Wall.
Er beschreibt die Innenseite der ursprünglichen Stadtmauer. Die Straßen sind wesentlicher schmaler und die Häuser ein wenig gedrungener als in der Neustadt, vielleicht eher für Kleinbürger.
Die Architektur der fünfziger Jahre tritt hier deutlicher hervor. Angesichts der katastrophalen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg musste schnell und günstig gebaut, aber auch gestaltet werden. Wie wirkt sich millionenfacher Mord, wie wirkt sich die unfassbare Schuld und deren verstockte Verdrängung, teilweise gepaart mit perfider Täter-Opfer-Umkehr, auf den neuen Aufbruch mit „Menschenwürde“, „Freiheit“ und „Demokratie“, auf die Gestaltung aus?
Wollte man mahnen oder in scheinheiliger Bußfertigkeit - unter Aufsicht der Alliierten vorsichtig tastend - einen geläuterten Neuanfang wagen?
„Die bleierne Zeit“ hat gestalterische Spuren hinterlassen und gemahnt ihrer selbst (vorwiegend innerer Wall und äußere Altstadt Süd).
Die Altstadt habe ich in drei, statt wie im Stadtplan, in zwei Bereiche aufgeteilt
Äußere Altstadt Nord
Die äußere Altstadt Nord erstreckt sich vom Rhein und „Hinterm Bahnhof“ bis zur Hahnenstraße.
Hinter dem Bahnhof befindet sich mit dem Kunibertsviertel, leider durch die Nord-Süd-Fahrt abgetrennt (Abschnitt Turiner Straße), und dem Ursula-Viertel rund um das Eigelstein-Viertel ein lebendiges Unterzentrum von Köln, welches mit seiner gesellschaftlichen Vielfalt wunderbar demonstriert, wie sich eine aufgeschlossene Demokratie entwickeln kann. Es wird aber auch sichtbar, wem die Stadt dient, wenn man sich anschaut, wie sich z. B. das Marriot Hotel in den ehemals glatten Verlauf der Johannisstraße schiebt.
Zwischen der Kyotostraße, einer Hauptverkehrsachse, und der Magnusstraße wechselt das Stadtbild einerseits zwischen ruhiger Wohnbebauung und großen Verwaltungen verschiedener Ständevertretungen wie Handel, Banken und Versicherungen. Andererseits wird, zum Ring hin gelegen, über das Friesenviertel als „Party Hotspot“ der Übergang zu einem Teil des „Einkaufsparadieses“ hergestellt, das sich zwischen Ringe, Magnusstraße und Hahnenstraße zum Rhein hin erstreckt.
Äußere Altstadt Süd
Auch in der äußeren Altstadt Süd befindet sich mit dem Severinsviertel zwischen Nord-Süd-Fahrt, Ringe und Rheinuferstraße ein lebendiges und vielfältiges Unterzentrum. Zwischen Ringe, Cäcilenstraße und  Nord-Süd-Fahrt finden wir mit Mauritius- und Pantaleonsviertel sowie Kapitol- und Georgsviertel deutliche Wohnbereiche, die mit den „Bächen“ zur Deutzer Brücke und dem Perlengraben zur Severinsbrücke hin ebenso zerstückelt werden wie im Norden Ursula-Viertel und Friesenviertel von der Kyotostraße.
Etwas anders als im Norden, wo das Agnesviertel als Teil der Neustadt (Nord) gegenüber dem Unterzentrum rund um das Eigelsteinviertel eine erkennbare Eigenständigkeit aufweist, ist das Severinsviertel stärker in die Neustadt (Süd) integriert und bildet als „Südstadt“ ein besonderes, nicht scharf abgrenzbares Quartier. Die Südstadt verfügt über eine ausgeprägtere Kneipenkultur, die in den letzten dreißig Jahren, insbesondere zu Karneval, touristisch gekapert wurde.
Im Rheinauhafen, der die äußere Altstadt Süd zum Rhein hin begrenzt, werden die allgegenwärtigen Gentrifizierungsprozesse großer Metropolen durch die äußerst kostspielige Neubebauung in besonders auffälliger Weise greifbar.
Innere Altstadt
Die innerer Altstadt, von mir zwischen Tunisstraße (Abschnitt der Nord-Süd-Fahrt), Bahnhof und Cäcilienstraße als eigner Bereich betrachtet, vervollständigt das Kölner „Einkaufsparadies“.
Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass sich hier dieser große und beeindruckende katholische Tempel direkt neben dem Bahnhof befindet.
Im fließenden Übergang wird das „Einkaufsparadies“ mit der eigentlichen Altstadt rund um Groß St. Martin zum Rhein hin vervollständigt. Im Martinsviertel hat sich bis heute ein mittelalterliches Stadtbild erhalten und ist damit natürlich das touristische Zentrum von Köln, neben der Philharmonie und dem Wallraff-Richartz-Museum eine Art lebendiges Museum mit zahlreichen Brauhäusern, Restaurants und Kneipen und seit etlichen Jahren mit einer brauchbaren Rheinpromenade.
Umfangreiche Verkehrsberuhigungen stellen sicher, dass sich zumindest hier ein Ort der flanierenden Bürger*innen befindet, vielleicht aber auch nur in musealisierter Form, wer weiß.

Voilà, das Croissant!
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